Rudolf_Schwarmbewusstsein


Befreiung zum Leben
Rudolf Lütticken

Eine spirituelle Vision - Essays

Rudolf Luetticken - Schwarmbewusstsein

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Mein Austritt aus Kloster und Kirche


Ligia Lütticken

Wer Gott liebt, hat keine Religion außer Gott - Rumi

An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen - Mt 7,16

Was sagt ihr zu mir: Herr! Herr!, und tut nicht, was ich euch sage? - Lk 6,46

Wir bedienen zu viel Tradition und wecken zu wenig Sehnsucht - Thomas Frings

Gottesdienste mit Suchenden, Fragenden, sogar den bekennend Ahnungslosen zu feiern, sind eine wahre Freude - Thomas Frings

Als aber immer mehr Schafe immer weiter weggelaufen sind, da haben wir alle Zäune aufgegeben und einfach alle zu Deinen Schafen erklärt, ob die das wollten oder nicht - Thomas Frings

Haben wir ein Modell für eine veränderte Welt und Kirche, in der immer weniger Menschen Gemeindechristen sind und sein wollen? - Thomas Frings


Solange ich vor der Angst fliehe, finde ich nicht den Weg ins Vertrauen

Solange ich angesichts des Unabänderlichen keine andere Alternative sehe als „"Biegen oder Brechen"“, unterliege ich dem Zwang. Wenn ich mich in Einsicht dem Unabänderlichen beuge, bin ich selbstbestimmt und frei.

Religiöse Überlieferung gründet auf Behauptung, authentische Spiritualität auf der Gabe der Unterscheidung.

An Jesus glauben heißt: alles Leben im Licht seiner Botschaft sehen.

Die Botschaft Jesu liegt nicht in der Bedeutung seiner Worte, sondern in ihrer Kraft.

Wer an Jesus glaubt, hält sich an ihm nicht fest: er weiß sich gehalten.

Die christliche Form der Erleuchtung ist die Gewissheit der Auferstehung





















Konfessionsfreier Seelsorger, ehemaliger Benediktinermönch (1959-2015) und Priester


Die Kirche als Gottes Volk - ein Schwarm

In biblischer Sprache ist der Heilige Geist die von Gott ausgehende Dynamik, die die Menschen in die Wahrheit führt und sie damit zur Einheit in der Wahrheit zusammenführt. Er ist der Geist der Wahrheit. Johannes 14,17; 15,26; 16,13.

Verschiedene eindrückliche Bilder verdeutlichen in den biblischen Geschichten, durch welche Dynamik Gottes Geist das Volk Gottes sammelt und auf seinem Weg leitet: einmal durch das des Windes bzw. des stürmischen Brausens:

Der Wind weht, wo er will;
du hörst sein Brausen, weißt aber nicht,
woher er kommt und wohin er geht.
So ist es mit jedem, der aus dem Geist geboren ist. - Johannes 3,8

und schließlich immer wieder durch das Bild der Wolke. Wolke ist im Alten wie im Neuen Testament Bild für die Gegenwart und Manifestation Gottes in der Weg-Geschichte seines Volkes. Zu dem Bild des stürmisch brausenden Windes und der donnernden Wolke tritt schließlich gern auch das Bild des Feuers.

Was diese unterschiedlichen Bilder miteinander verbindet, ist, dass sie den Gesetzen der chaotischen Selbstorganisation einer unstrukturierten Menge folgen. Der Heilige Geist erweckt unter denen, die sich von ihm führen lassen, so etwas wie ein Schwarmbewusstsein. Es ist in erster Linie und vor aller Ausbildung korporativer Identitätssymbole die chaotische Dynamik der Schwarmbildung. Wolke und Schwarm sind zwei Bilder für das gleiche Phänomen. Bevor das Volk Gottes auf seinem Weg korporative Symbole, Normen und Institutionen ausbildet, ist es in seiner sozialen Dynamik und Gestalt nichts anderes als ein Schwarm.


Schwarmbewusstsein ist daher ein Wort für die chaotische Dynamik, die das Volk Gottes unter dem Wirken des Heiligen Geistes in erster Linie zusammenhält und zu einem gemeinsamen Weg durch die Geschichte befähigt.

Eine unstrukturierte Menschenmenge verhält und gestaltet sich als Schwarm, aus der unmittelbaren Interaktion eines jeden mit jedem. Religiöse und geistliche Bewegungen folgen der Eigendynamik des Schwarms, die aller institutionellen Verfasstheit vorausliegt. Wo von der Kirche als dem pilgernden Volk Gottes gesprochen wird, da kommt sie zunächst als Schwarm in den Blick, als eine der grossen religiösen bzw. spirituellen Bewegungen im Ganzen der Menschheitsfamilie.

Da wird deutlich, dass ihre primäre und wahre Identität sich aus der unmittelbaren Interaktion jedes einzelnen Mitgliedes mit jedem und allen anderen ergibt, dass sie also weder ihre innere, geistige, noch ihre äussere, geschichtliche Identität aus den institutionellen Ordnungen und Strukturen gewinnt, die sie ausbildet und sich selbst verleiht; dass sie sich daher ihrer Identität entfremdet, wenn sie sich selbst als eine Gemeinschaft definiert, die ihre Identität solchen Elementen verdankt.

Die TAUFE ist das gemeinsame, sichtbare Zeichen aller, die der Kirche, dem Volk Gottes, angehören. Durch ihre Taufe auf den Namen Jesu treten alle Getauften in eine geschichtlich greifbare Beziehung zur geschichtlich bezeugten Person Jesu von Nazareth. Sie öffnen sich damit aber zugleich dem Mysterium der Person Jesu, der Fülle Christi. Sicher ist alles Erkennen und Erfahren dieses Mysteriums unvollkommen und Stückwerk. Aber wer sich im Glauben für das Wirken des Heiligen Geistes öffnet, den führt dieser über alles eigene Erkennen und Erfahren hinaus in die uneingeschränkte und unüberbietbare Fülle der Wahrheit Christi.

Daher kann die Taufe nicht konfessionell vereinnahmt werden. In seiner Offenheit für die Fülle der Wahrheit Christi ist der Getaufte zugleich offen für alle, die gleich ihm als Getaufte in dieser Wahrheit leben. Er tritt in ein lebendiges Wechselspiel mit ihnen ein - in die Koinonia, die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, die von der unsteuerbaren Dynamik des Geistes und seiner Gaben getragen ist. Es entsteht eine vom Heiligen Geist zusammengefuehrte und bewegte Gemeinschaft der Getauften vor aller konfessionellen und institutionellen Selbstdefinition - gemäß der chaotischen Dynamik eines Schwarms.

Das Wirken des Heiligen Geistes ist kein rein innerliches, im Geistigen verbleibendes Mysterium. Es ist eine Dynamik der Selbstmanifestation, der Erschliessung (englisch: disclosure), die das innere Mysterium geschichtlich zur Erscheinung bringt

Daran soll die Welt erkennen, dass ihr meine Jünger seid und dass der Vater mich gesandt hat, dass ihr einander liebt.

Dabei durchwirkt der Geist das ganze Leben der Getauften, so, wie es sich im Spannungsfeld zwischen Geschöpflichkeit und Göttlichkeit, Sünde und Gnade gestaltet. Selbst das, was im Leben der Getauften Wirkung der Sünde und des Bösen ist, nimmt er in seine offenbar machende und alles ins Licht wendende Dynamik mit auf.

Wenn ER kommt, wird ER die Welt überführen (und aufdecken), was Sünde, Gerechtigkeit und Gericht ist.

Und so ist es die ganze empirische Realität ihres Lebens, durch die sich die Gemeinschaft der Getauften unter dem Wirken des Geistes nach Art eines Schwarmes aufbaut und geschichtlich in Erscheinung tritt.

Korporative Strukturen - einschließlich bekenntnishafter Glaubenssätze, sakramentaler Riten und Symbole, doxologischer Formeln, dogmatischer Definitionen, theologischer Sentenzen, moralischer Normen, institutioneller Strukturen, rechtlicher Regelungen - werden entwickelt, um diesem vom Geist gebildeten Schwarm Beständigkeit, Konturen und inneren Halt zu geben.

Dies mag bis zu einem gewissen Punkt der Lebensdynamik des Schwarms dienen, mag sie verdichten und intensivieren, ihr Dauer und Nachhaltigkeit verleihen. Wo aber solche Strukturen die vom Geist gewirkte Lebensdynamik des Schwarms zu kontrollieren, zu regulieren und zu standardisieren suchen, entwickeln sie die Tendenz, sie zu überfremden und zu ersticken. Die Dynamik des Geistes, sein Bleiben in der Wahrheit, manifestiert sich dann darin, dass er einen solchen Integralismus durch desintegrierende Kräfte, Tendenzen und Aufbrüche sprengt.

Die Gründe, warum ein Schwarm sich bildet, sind unterschiedlich. Die Grenzen des Schwarms sind nicht klar definiert, sondern unscharf. Ein Schwarm kann sich auflösen und neu bilden. Das Weltall zeigt, dass schwarmartige Gebilde wie die Sternnebel nach innen wie nach aussen ein Gravitationsfeld entwickeln und sich daher wiederum nach Art eines Schwarms zueinander verhalten.

So können unter dem Wirken des Geistes gemäss den verschiedenen historischen Bedingungen unterschiedlich geartete Schwarmbildungen der Getauften entstehen, verschieden geprägte Kirchen und kirchliche Gemeinschaften, die wiederum nach Art eines Schwarms - ohne wechselseitige Kontrolle - in ein Wechselspiel miteinander treten.

Man kann es beim Flug großer Vogelschwärme beobachten: Manchmal können unterschiedliche Schwärme einander so nahe kommen, dass sie einander teilweise durchdringen und überschneiden oder miteinander zu einem einzigen Schwarm verschmelzen. Bei anderen Schwärmen kann es zu Teilungen oder Unterteilungen kommen. Manchmal wechseln einzelne Mitglieder eines Schwarms zu einem anderen über. Manche schweben als Einzelne oder in kleinen Splittergruppen frei zwischen den grösseren Schwärmen im Gravitationsfeld des Gesamtschwarms mit.

Auch das Verhältnis christlicher Gemeinschaften oder Individuen zu Menschen, zu Bewegungen oder Gruppierungen nichtchristlicher Religion oder Lebenseinstellung folgt dieser chaotischen Dynamik der vom Geist getragenen Schwarmbildung. Sie wird immer dann möglich, wenn die Betroffenen - Christen wie alle anderen - sich unter dem Wirken des Geistes von der Erkenntnis leiten lassen, dass die Wahrheit - so sehr sie den unbedingten Gehorsam des Herzens einfordert - als unerfassbares Mysterium jenseits aller Kontrolle, jenseits allen eigenen Erkennens und Begreifens liegt. (Auch dies kommt eindrücklich im biblischen Bild der Wolke zum Ausdruck, Symbol des Nichtwissens, das dem undurchdringlichen Geheimnis der Gegenwart Gottes anbetend Raum lässt.)

Das Wirken des Geistes kennt keine Grenzen der Konfessions - oder Religionszugehörigkeit. Letztlich führt der Geist das Ganze der Menschheit in eine - alle Grenzen von Religion, Kultur und ethnischer Zugehörigkeit transzendierende - Einheit in der Wahrheit. Auch die Kirche fügt sich - als die Gemeinschaft aller Getauften - in diese übergreifende, das Ganze der Menschheit umfangende Einheit in der Wahrheit ein und findet nur in der Öffnung auf sie hin - nicht durch ausschliessende Abgrenzung - zu ihrer spezifischen Identität und Wahrheit.

Das gilt nicht nur für die Kirche als Ganze, sondern für jede Form kirchlicher Gemeinschaft, ja, auch für jeden einzelnen Christen: indem er sich zunächst und vor allem anderen als Glied des einen Grossen und Ganzen der Menschheitsfamilie versteht, nicht nur als Glied der Kirche bzw. einer bestimmtem kirchlichen Gemeinschaft, indem er sich also unter dem Wirken des Geistes der Begegnung mit jedem anderen Menschen öffnet, findet er auch in die ihm als Christ vom Heiligen Geist erschlossene Wahrheit. D.h. nur so erschliesst sich ihm die - alles menschliche Verstehen überschreitende - Erkenntnis der Fülle Christi.

Dies wirft ein neues Licht auf den missionarischem Aussendungsbefehl des Auferstandenen nach Mt 28: Geht hinaus in alle Welt ...Es geht nicht darum, dass die Jünger eine Wahrheit in die Welt tragen, die sie im Vorhinein dazu schon "haben", sondern darum, dass sie sich in der Öffnung für die Einheit in der Wahrheit, die sie mit allen Menschen verbindet, der Wahrheit Christi, des Auferstandenen, öffnen, um sie so aller Welt zu bezeugen.


Aus seinen Predigten - Kontinuität

Der Umbruch, wenn nicht sogar Zusammenbruch der Kirche fand schon längst Platz in seinen Predigten, auch die Zuversicht in Gottes Wort danach. Eigentlich hat er die Zugehörigkeit zum Gottes Volk schon längst auch ausserhalb der insitutionellen Kirche gesehen (siehe Predigt zum 26 JS, 2008).

"So, wie Jesus in allen, die den Willen seines Vaters tun, seine Schwestern und Brüder erkennt, gleich, ob sie sich nun zu ihm als Herrn bekennen oder nicht, so können auch seine Jünger ihre wahre Familie nicht ausschließlich im Raum der christlichen Gemeinde sehen, sondern im Miteinander mit allen Menschen, die sich in den Dienst der Liebe stellen. In diesem geschwisterlichen Miteinander, nicht im geschlossenen Raum der Gemeinde, finden sie denn auch zu ihrer eigentlichen Bewährung: da, wo sie sich im Dienst der Liebe einlassen auf das Zusammenwirken mit Menschen aller Überzeugungen und Religionen: in der Familie wie der Gesellschaft, im privaten wie im politischen, sozialen, kulturellen Raum.

In diesem weltlichen Raum, wo vom Gott Jesu und von Christus als dem Sohn Gottes vielleicht gar nicht gesprochen werden kann, geschieht in den Augen Jesu der wahre Gottesdienst. Wo dagegen religiöse und kirchliche Ausdrucksformen nicht der Liebe dienen, da dienen sie in den Augen Jesu auch nicht der Ehre Gottes; da entheiligen sie seinen Namen, lästern ihn und geben den Menschen ein Ärgernis. Überall da, aber auch nur da, wo dem Menschen vom Menschen Liebe geschieht, wird der Name Gottes verherrlicht und geheiligt. Denn der Gott, dessen Herrschaft und Reich Jesus verkündet und zu dem er uns beten lehrt, ist die Liebe." - Predigt 2008 (JS 26, Lesejahr A)


"Beide, - Ordensgemeinschaften und Pfarrgemeinden befinden sich heute in der Krise. In der einen oder anderen Form werden sie sich wandeln müssen, - wir wissen noch nicht, wie. Aber die beiden Weisen, wie Gottes Wort bei den Menschen ankommt, werden auch in der Zukunft wirksam bleiben." - Predigt 2008 (JS 17, Lesejahr A)


"Wo finden wir den Glauben der kanaanäischen Frau oder den dieses römischen Hauptmanns in unseren Tagen? Da müssen wir wohl an die heutigen Heiden denken, an die unübersehbar Vielen, die der Kirche entfremdet sind, denen sie so, wie sie in den Jahrhunderten gewachsen ist, keine Antwort mehr gibt auf ihre Nöte und Bedrängnisse, auf die Hoffnung und Sehnsucht ihres Herzens. Deren Fragen bei dieser Kirche auf ein taubes Ohr fallen, auf starre und abweisende dogmatische Lehrsätze, auf die bornierte und verletzende Geringschätzung Andersdenkender.

Könnte es nicht sein, dass die eigentliche Zukunft der Kirche nicht da aufbricht, wo sie ängstlich um ihren Bestand und ihre Zukunft ringt, wo die bischöflichen Generalvikariate sich um maßgeschneiderte Strukturpläne für die Pfarreien und Dekanate bemühen oder die Bischöfe einen bundesweiten innerkirchlichen Gesprächsprozess anstoßen, schon gar nicht da, wo Traditionalisten die vorkonziliare Kirche wieder herbeizureden suchen? Dass vielmehr heute ähnliches geschieht wie in der Begegnung Jesu mit der kanaanäischen Frau - und Außenstehende sich ganz von sich aus, neu und ungeplant, der Botschaft des Evangeliums öffnen?" - Predigt 2011 (JS 20, Lesejahr A)


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